Die Araber und ich

Die Araber und ich

Neulich fragte mich Ahmad, was ich von den Arabern halte. Mmm. Ich stutzte und sagte etwa sowas:
„Ich habe in den letzten Jahren durch meine Arbeit als Deutschlehrerin viele sehr nette Araber kennengelernt, einer davon bist Du. Du sitzt heute hier bei Deiner „neuen Oma Rosa“ auf dem Sessel und wir quatschen. Und manchmal schnatter ich mit Enas, diskutiere mit Rami oder berate mit Kholoud, chatte mit Adnan, „unserem Imam “ oder freue mich über die neuen Bilder meines „Adoptivenkels“ Julian, …., trinke Kaffee mit Mohammad oder … oder … Und ich finde es immer wieder spannend, mit Euch Zeit zu verbringen und zu reden. Besonders jetzt, wo Ihr gut deutsch sprechen könnt. Ich freue mich über jeden Fortschritt, den Ihr macht: ein neu erreichtes Sprachniveau, ein Praktikum, einen Job, eine Festanstellung mit gutem Gehalt, einen Kitaplatz, die bestandene Fahrprüfung oder – ich wag es nicht zu sagen- das grad erworbene Auto …. Vor allem aber ist mir sehr wichtig, was meist übersehen wird, die Bewältigung der gesundheitlichen Folgeschäden Eurer Flucht.“
Eigentlich begann mein Interesse für die Araber, für den Orient, in der 5. Klasse durch meine damalige, junge Lehrerin Fräulein K., die mich in Geschichte und Russisch unterrichtete und gerade von der Uni Greifswald kam. Von da brachte sie ihre Liebe für einen irakischen Mann in das Dorf, wo ich zur Schule ging. Das war schon sehr gewöhnungsbedürftig für die die Bewohner eines vorpommerschen Dorfes in der Mitte der 60ger Jahre des 20. Jahrhunderts. Da gab es doch endlich mal neuen Gesprächsstoff! Die Lehrerin erzählte mir viel über den Irak und über seine arabischen Traditionen. Ich erinnere mich, meinen Namen auf Arabisch geschrieben zu haben…
Ihren Mann lernte ich auch kennen und fand ihn spaßig, nett und klug. Als sie, nun als Frau S., 1969 mit ihrer kleinen Tochter und der ungeborenen Tochter in den Irak reisen wollte, um dort mit ihrem Mann zu leben (in der DDR durfte ihr Mann nur das Studium machen, nicht aber danach sesshaft werden), hätte ich sie gerne davon abgehalten und plapperte alles nach, was ich so von den Erwachsenen hörte über die arabische fremde Welt und die Stellung der Frau und deren Kinder.
Frau S. und ich schrieben uns Briefe und ich erfuhr von ihr, wie sie dort aufgenommen wurde, wie anders das Leben für sie wurde, wenn es um arabische Sitten und Gebräuche ging und über alle die schönen Dinge, die es auf dem Basar zu kaufen gab.
Mein Kontakt zu ihr nach Bagdad riss 1973 ab. Bei den X. Weltfestspielen, die in Berlin stattfanden, bat ich einen jungen Mann aus Bagdad, Bassim, einen kleinen Brief für sie mit nach Bagdad zu nehmen und ihr zu übergeben. Es kam keine Antwort von ihr zurück. Dafür war Bassim jetzt mein Brieffreund. Aus dem vorpommerschen Dorf drangen schaurige Geschichten über meine Lehrerin und ihr Unglück im Irak in meinen nun 10 km entfernten Wohnort. Eigentlich war sie für die Leute schon tot….

In meinen Jahren als junge Frau lebte diese Lehrerin doch sehr in mir nach. Ich hatte mich für ein Studium der russischen (und englischen) Sprache an der Greifswalder Uni entschieden und schließlich absolviert. Meine Träume für die Wohnungseinrichtung waren orientalische, bunte Teppiche, große, verzierte, schlanke Messingvasen mit Henkel, bunte Sitzkissen mit goldenen Motiven darauf. Alles das gab es in der DDR leider nicht. Lediglich in Prag, Tschechoslowakei, konnte ich die schönen orientalischen Dinge bestaunen, für die unser limitiertes DDR-Geld nicht ausreichte. So blieb orientalisches Flair in meiner Wohnung ein Traum, ein Traum aus tausend und einer Nacht.
Überhaupt war für mich der arabische Orient als Kind immer eine Welt religiöser Geschehnisse, der Träume und zauberhaften Märchen, der weisen Männer und schönen Frauen, grazilen Schmucks und begehrenswerter Wohnaccessoirs. Er war weit weg und dorthin zu gelangen, um zu erfahren wie das Leben da so läuft, war von der DDR aus aussichtslos. Fast.
Während meines Studienaufenthalts in Rostov-am-Don, im Süden der damaligen Sowjetunion, konnte ich dann doch die Regionen zwischen Orient und Okzident besuchen. Ich war in Gagra und Tblissi (Tifflis) in Georgien und Jerewan in Armenien. Das waren für mich schon die orientalischen Welten, wo es tollen Schmuck und all das Märchenhafte zu sehen und zu kaufen gab.

Inzwischen habe ich ehemalige arabische Schülerinnen und Schüler und deutschsprechende Freundinnen und Freunde aus Syrien hier in unserer gemeinsamen Stadt Neubrandenburg. Diese Menschen gehören für mich zum Stadtbild und geben der mecklenburgisch-sturen Stadt einen Hauch von Weltoffenheit. Ich beschäftige mich mit der arabischen Hochsprache. Wenn ich sie auch noch nicht spreche, so habe ich doch ein Gefühl für sie entwickelt und weiß, was meine Schüler, die aus der arabischen Sprachwelt kommen, in ihren Deutschkursen leisten müssen.

Vor wenigen Wochen bekam ich einen Anruf aus dem Land Brandenburg. Am anderen Ende war meine Lehrerin Frau S.. Das war eine Überraschung! Sie ist nach 10 Jahren glücklichen Aufenthalts in Bagdad zurückgekehrt in die damalige DDR. Sie musste. Mit der Machtergreifung Sadam Husseins wurden alle Menschen, die im sozialistischen Ausland (z. B. der DDR) studiert haben, verfolgt und eingesperrt. So auch ihr Mann. Ihm gelang die Flucht in die DDR. Sie konnte nach langer Zeit der Klärung von Formalitäten über die Familienzusammenführung, endlich mit ihren nun drei Kindern in die DDR ausreisen.
An dem Abend des Anrufs suchte ich die Briefe meiner Lehrerin hervor, die sie mir vor fast 50 Jahren geschrieben hatte. Ich setzte mich in die sommerliche Abendwärme auf eine Bank auf dem Boulevard und las alle Briefe durch und war fasziniert wie vor fast 50 Jahren.
Vor meinem Abitur schlug sie mir per Brief vor, ich könne doch in Leipzig Arabistik studieren…
Im letzten Brief, den ich durchsah, steckten ein paar ausgerissene Schmierzettel. Auf einem war das arabische Alphabet, auf anderen Schreibübungen in arabischen Lettern: mein Name, der Name meiner Lehrerin, die Namen von Mitschülern. Und: Ich konnte sie lesen!

„Ja, Ahmad! Nun habe ich Euch, meine „arabische Familie“ und auch meine alte Lehrerin wieder, die mein weltoffenes Denken und meinen Lebensweg, nicht nur den beruflichen, wesentlich beeinflusst hat.
Was denke ich von den Arabern? Ich denke an Geschichte, Wissenschaft, Entdeckungen und Kulturschätzen, die Deutschland klein erscheinen lassen. Ich denke an Euch, die Ihr aus Syrien zu uns geflüchtet seid, um Euer Leben zu retten und neu zu gestalten. Ich denke an den Krieg in Syrien und an die kriegerischen Konflikte in anderen arabischen Ländern, alles Stellvertreterkriege der Großmächte, die Eurer Öl und Zugänge zum Meer haben wollen. Ich denke an den Wahnsinn, den dogmatische Religionshörigkeit verursachen kann. Das Denken, jeder hätte die richtige Religion und man müsse dafür kämpfen, dass sie zur Staatsdoktrin wird, ist vielleicht das größte Übel der Araber und unterstützt indirekt die Großmächte in ihrem Vorhaben, Eure Länder zu beherrschen und auszubeuten. Die arabischen Menschen zerfleischen sich wegen ihrer Unterschiedlichen Ansätze, an Gott zu glauben und das Leben in seinem Sinne zu gestalten. Ein Weg aus diesen Konflikten kann nur eine von den Religionen abgekoppelte Regierung sein, die allen Menschen gleichberechtigt eine Zukunft und ein arabisches Zuhause gibt. Die Trennung von Religion und Staat ist das oberste Gebot für eine friedliche, vielleicht demokratische Veränderung im Zusammenleben der Araber.
Das denke ich über die Araber, Ahmad, Habibi. (mein Lieber)“