Aus meinem Tagebuch

10.11.1989

„Dieses Datum geht in die deutsche Geschichte ein! Heute Nacht sind die Grenzen zur BRD und Westberlin geöffnet worden. Deutsche auf beiden Seiten können es nicht fassen!

Was ich heute Nacht im Westfernsehen erlebte, kann nicht beschrieben werden. Das Vorzeigen des Ausweises reichte, um einen Stadtbummel durch Westberlin zu machen.

Ob unsere Kinder und deren Kinder unsere momentanen Gedanken irgendwann in etwa nachvollziehen können? Sicher nicht. Das ist Geschichte!

Wolfgang steht zurzeit in der langen Schlange auf dem VP-Kreisamt, um unser halbjähriges Dauervisum in die Pässe eintragen zu lassen. Es gibt eigentlich nur ein Visum in den Ausweis gefügt, wenn kein Pass vorliegt. Auch die Kinder kann man mitnehmen. Es ist auch möglich, für „bedürftige“ Bürger sofort sein ständiges Ausreisevisum zu erhalten.

Und heute ist Peter B. offiziell nach eineinhalb Jahren Knast für einen Fluchtversuch (Vorbereitung) ausgereist. Für ihn sicher der blanke Hohn: ausgerechnet heute!

Die Massenflucht hat unser Land ausgeblutet. Tausende gingen. Nun hoffen wir, die „Hierbleiber“, dass möglichst viele Menschen zurückkehren. Unser Land geht sonst kaputt.

NVA-Angehörige werden im Gesundheitswesen, und in der Wirtschaft eingesetzt. Reservisten werden in den nächsten Monaten nicht gezogen. Lieber Gott! Hoffentlich wird es eine gute Erneuerung.

Johannes Chemnitzer ist heute zurückgetreten. Viele andere im ZK der SED auch. Korruption wird untersucht durch eine heute gebildete Untersuchungskommission. Das sind alles die großen Sachen, Geschichte, die die persönlichen ganz klein machen.“