MV & seine Menschen 5. Teil

MV & seine Menschen 5. Teil

Wenn hartes Holz brennt…

Die Menschen im alten Mecklenburg und Vorpommern sind historisch von gesellschaftlicher Rückständigkeit und Einschränkung geprägt. Die schwere und lange Arbeit auf den Feldern und in den Ställen der Dörfer ließen nur wenige Anlässe für Freude und schon gar keinen Müßiggang zu. Letzteres war Sünde! Im Laufe des Arbeitsjahres waren es das Erntefest und hin und wieder mal eine Hochzeit, die Anlass für Feiern und Ausgelassenheit gaben.
Natürlich spielt auch die geographische Lage von MV eine nicht unwesentliche Rolle für das nordisch herbe Temperament unserer Menschen. Das Klima an der Küste und unweit von ihr ist rau und windig, kälter als in den südlichen Teilen Deutschlands, die von der mitteleuropäischen Wärme profitieren. (Abgesehen vom Sommer 2018!) In der Regel „zieht man sich bei uns warm an“ und ist somit ganz schön „zugeknöpft“. Und: Die Mecklenburger schienen immer unfrei zu sein. Im Feudalismus waren sie an die Scholle (den Acker des Gutsherrn) gebunden. Auch die erste Hälfte des 20sten Jahrhunderts brachte für sie keinen gesellschaftlichen und persönlichen Aufschwung. Die Zeit war bestimmt vom 1. von Deutschland angezettelten Weltkrieg und endete 1945 im 2. von Deutschland verursachten und schließlich verlorenen Weltkrieg mit allen dazugehörigen Folgen. Unfreiheit herrschte auch in der DDR. Es gab keine Reisefreiheit in andere nicht sozialistische Länder. Jeder wusste, dass unter uns Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit lebten, die Berichte dorthin erstatteten. Auch hier war Zurückhaltung geboten, man sprach mit doppelter Zunge, verdrängte, verschwieg, nicht nur in Mecklenburg.
Das alles und vieles mehr hatte Einfluss auf die Mentalität unserer Menschen, die ich als zurückhaltend, unflexibel, wenig gesprächig erlebt habe.
Besonders viele Vorpommern können (leider) ihre Gefühle nicht zeigen. Ich selbst bin in Vorpommern aufgewachsen und meine, dass nur Gefühle wie Trauer und Mitleid zum Tragen kamen. Mit Ausgelassenheit, Zuneigung und offenes Zeigen von Emotionen gab es Probleme. Statt einer Bitte gab es eine Ansage, Fragen, die von Interesse zeugen, waren nicht gebräuchlich. Auch die Freude über den Erfolg eines anderen, die durch anerkennende Worte zu würdigen wäre, habe ich in meiner Kindheit vermisst. Wenn es aber darauf ankommt, für einander einzustehen, dann sind sie da, die verschwiegenen Norddeutschen.
Wie eingangs schon erwähnt, fuhr ich in den 1970ger und 80ger Jahren kreuz und quer durch das Gebiet, was wir heute MV nennen, um mit unsrer Gruppe Konzerte zu spielen. Dabei sangen und sprachen wir Hoch- und Niederdeutsch. Die niederdeutsche Sprache und Volkskultur ist das, was die Menschen beider Landesteile eint. Bei unseren Tourneen machten wir die unterschiedlichsten Erfahrungen mit unseren Menschen und ihrem Temperament. Während in Schwerin und der Hafenstadt Rostock, gewöhnt an Theaterkultur und Weltbürgerschaft (zumindest was Rostock betraf), uns offene Begeisterung ehrlich und unverblümt entgegen donnerte, rollten uns die Menschen in Penkun und Prenzlau in Vorpommern schweigend den „roten Teppich“ aus und waren dankbar berührt ohne lautes Trara. Doch als wir nach Demmin in Vorpommern kamen, das ist die Region, in der mein Mann und ich aufgewachsen waren, zeigten sich die Vorpommern mit all den bereits erwähnten Klischees.
Die Leute im Publikum saßen versteinert auf ihren Plätzen. Nach jedem Beitrag: verhaltenes Klatschen, starr nach vorn blickend, sodass ja der Platznachbar nicht mitbekommt, dass geklatscht wurde oder dass das Stück vielleicht gefallen haben könnte. Nur keine Regung zeigen! Nicht lachen! Keine Gefühle zeigen! Der Abschlussapplaus fiel auch sehr bescheiden aus und wir schlossen daraus, das Programm hätte den Leuten nicht gefallen. Doch geirrt! Beim Einpacken der Instrumente, auf der Toilette oder im Flur kamen viele der Zuschauer einzeln auf uns zu, um uns den Arm zu tätscheln und leise hinter vorgehaltener Hand zu sagen, sodass es ja niemand hören konnte: „Dat hämm Ji öwer gaut makt.“ (Das habt Ihr aber gut gemacht.) Das war höchstes Lob aus dem Mund eines vorpommerschen Menschen aus Demmin!
Bei uns in MV dauert immer alles etwas länger als woanders. Otto von Bismarck (preußischer Politiker, deutscher Reichskanzler) soll mal gesagt haben, in Mecklenburg ginge die Welt 50 Jahre später unter. Wenn wir in Mecklenburg und Vorpommern auch gesellschaftlich nicht Spitze waren, so doch im Alkoholverbrauch und das seit alters her. Forciert von der Herrschaft, um den Frust zu ertränken. Diese Tradition hält sich bis in die Neuzeit, wenn wir auch da auf gutem Wege sind. Scheint mir.
Die Mecklenburg-Vorpommern waren in ihrer Geschichte immer auf das Wichtigste im Alltagsleben konzentriert. Schnick-Schnack nebenbei gab es nicht. Dabei waren und sind sie bis heute arbeitsam, fleißig, strikt und verantwortungsvoll.

Bei allem Klischee sind die Menschen aus MV vielleicht etwas schwer zu verstehen und wir scheinen unzugänglich, kühl und unnahbar, stur, wenig tolerant, aber wenn es einem Nichteinheimischer gelingt, sich Zugang in ein mecklenburgisch-vorpommersches Herz zu verschaffen, dann hat er auch für ewig darin seinen Platz!
Es gibt ein wunderbar zutreffendes Zitat von Fritz Reuter, unserem Heimatschriftsteller aus dem 19. Jahrhundert, mit dem ich meine Betrachtung beende. Reuter charakterisiert unseren niederdeutschen Menschenschlag (die Niederdeutschen) mit aller Liebe, die er zu seiner Heimat (Mecklenburg und Vorpommern) und seinen Menschen hatte. Ich bitte nun alle, die vielleicht Vorbehalte gegenüber unseren Menschen hatten, das Zitat in Erinnerung zu behalten. Damit es alle verstehen, übertrage ich es aus dem Niederdeutschen ins Hochdeutsche.
„Nicht wie ein Feuer aus Tannenholz und Stroh, was zuletzt einen Haufen Asche übrig lässt, steigt die lodernde Flamme zum Himmel, nein, wir Niederdeutschen sind ein hartes Holz, das langsam Feuer fängt, aber dann auch Hitze gibt.“
/„Nich as ein Füer von Dannenholt un Stroh, wat tauletzt en Hümpel Asch äwrig lett, steg de Läuchen taum Hewen, ne, wi Nedderdütschen sünd en hart Holt, wat langsam Füer fangt, äwer dann ok Hitt giwwt.“ (Fritz Reuter: Ut de Franzosentid)./

Mein Beitrag kann in seiner historischen Betrachtung nur oberflächlich sein. Für geschichtlich Interessierten gibt es gute regionale Literatur, in der es lohnt, herumzustöbern, um das hier Fehlende für sich zu ergänzen. Inhaltlich ist mein Beitrag vielleicht etwas negativ gefärbt, doch es gibt auch Sonnenstrahlen in MV, die es sich lohnt, in einem der nächsten Artikel genauer zu betrachten. Bis dann.