Bis 2015 haben wir in Mecklenburg-Vorpommern, dem idyllischen, aber etwas von der Welt abgehängten Land im Norden Deutschlands, im Verhältnis zu anderen Bundesländern, relativ wenig mit Ausländern und Asylsuchenden zu tun gehabt. Erst mit dem größer werdenden Strom Flüchtender, die über tausende Kilometer über Land und Meer nach Europa kamen, änderte sich das. Natürlich sah man auch bei uns in MV die bewegenden Bilder von Flüchtenden in den Medien und wir hörten die Berichte über ihre Probleme. Doch alles das war so weit weg… Und manche Menschen glaubten, unsere eigenwillige, kleine, enge Welt bliebe verschont vor den flüchtenden „Fremden“, vor „dem Fremden“.
Das Fremde macht Angst. Angst liegt in unserer Natur. Sie wurde uns als Schutz vor feindlichen Übergriffen in die Wiege gelegt. Sie war in der Evolutionsgeschichte eigentlich etwas Positives, mahnte zur Wachsamkeit und Verteidigungsbereitschaft. Das trifft auf ALLE Menschen zu!
„Angst“. Dieses Wort hörte ich vielfach im April 2016, als ich mit Asylbewerbern sprach, die sich bei mir zu einem Deutschkurs anmeldeten.
Wenn sie auch noch wenig Deutsch sprachen, doch das Wort „Angst“ war schon in ihrem deutschen Vokabular. Ich wusste, dass es viele ängstliche Stimmen in der Bevölkerung gab gegen eine mögliche Gefahr, die von den Neuankömmlingen ausgehen könnte. Umso verwunderter war ich, dass diese es genau wahrgenommen hatten und darüber sehr betroffen und verletzt waren. Immer wieder hörte ich von jungen Männern: „Die Deutschen haben Angst vor uns.“ Und ich ermunterte sie dann mit meinem Spruch: „Ich bin auch Deutsche und ich habe keine Angst vor Euch. Also triff das nicht auf alle Deutschen zu.“ Dann lachten wir und wir gingen zur Tagesordnung über.
Leider gab es dann später bundesweit ausreichend Vorkommnisse, die dieser Angst der Deutschen Rechnung trugen. Verfehlungen von einigen Asylanten, die nicht verharmlost werden dürfen, waren immer wieder Nährstoff für die fremdenfeindliche Entwicklung in Deutschland. Und PEGIDA und die AFD fühlten sich bestätigt.
Was aber ist mit der Angst der Flüchtlinge?
Sie haben ihre Ängste schon aus ihren Ländern über den langen Weg zu uns mitgebracht. Sie wollten ihr mit der Flucht entkommen und kaum in Sicherheit, ist sie wieder da. Noch heute 2018. Und ihre Ängste sind vielfältig: Ängste aus dem Erlebten im Heimatland und auf der Flucht, Angst, etwas nicht zu verstehen, in Deutschland Fehler zu machen, missverstanden zu werden, in Konflikte verwickelt zu werden, Angst, nachts aus dem Bett geholt und nach Hause geschickt zu werden, wo auf sie Gefahr für ihr Leben, Repressalien und die Schmach der Gesellschaft warten. Sie haben Angst, in der deutschen Gesellschaft ausgegrenzt zu werden, zum Beispiel wenn ihnen im Fitnessstudio versagt wird, zu trainieren oder in der Disco gesagt wird, Einlass gäbt es nur für Deutsche… Dazu kommen Ignoranz im Alltag oder direkte Bedrohungen.
Ein Zuwanderer erzählte mir, wie erschrocken und betroffen er war, als er an einer Kreuzung auf Grün wartend von einem Mann auf der anderen Kreuzungsseite symbolisch getötet wurde, indem er seine rechte Hand zu einer Pistole formte und auf ihn schoss…
Ein anderer erlebte beim Straßeüberqueren, dass ein PKW-Fahrer mit überhöhter Geschwindigkeit in der 30er Zone der Stadt direkt und bewusst auf ihn zusteuerte und ihn aus dem Fenster heraus beleidigte. Leute! Das ist Psychoterror!!!!
Wenn ich auch immer noch meine, Angela Merkel hat 2015 richtig entschieden, die Flüchtenden aufzunehmen, so wurde auch sichtbar, dass es keine Vorbereitungen und später keine erkenntnisorientierten Nachbereitungen in unserem Land gegeben hat, um angemessen auf die aktuellen Gegebenheiten in der Welt zu reagieren, um auf den Flüchtlingsstrom vorbereitet zu sein, der sich uns allen angekündigt hatte. Folglich wurden die „Einheimischen“ durch Konzept- und Planlosigkeit unserer Regierung überrollt. Dadurch ist das Land in große Bedrängnis geraten. Verantwortliche Behörden und ehrenamtliche Helfer in Städten und Gemeinden arbeiteten Tag und Nacht, um Unterkünfte für die Ankommenden aus dem Boden zu stampfen. Es fehlten fachkundige mit Fremdsprachenkenntnissen ausgestattete Menschen, die die Ankommenden registrieren und befragen. In dem Durcheinander kam es zu vielen Missverständnissen und es entstanden Fehler: falsche Schreibweise von Namen, falsche Daten, ja sogar ein eingeschlichener deutscher Bundeswehrangehöriger wurde als Syrer registriert!!! Es kamen auch Menschen zu uns, die uns schadeten oder vielleicht noch schaden werden…
Nach den vergangenen drei Jahren haben wir eine Menge Erfahrungen gemacht. Gute und schlechte.
Inzwischen ist eine Situation entstanden, wo „sich die Spreu vom Weizen trennt“. Damit meine ich, dass wir heute vieles differenzierter sehen können und müssen. Viele der Emigranten/Emigrantinnen kämpfen heute noch mit der deutschen Sprache, ohne die sie keinen Job bekommen, selbst, wenn sie die Zulassung dazu haben. Dazu drängt es mich, hervorzuheben, dass es verdammt schwer ist, für einen Menschen aus Eritrea, Afghanistan oder Syrien, unsere Sprache zu erlernen. Als Sprachlehrerin sage ich: Dies ist nicht zu vergleichen, als würde ein Deutscher Englisch oder Russisch oder Französisch lernen!!!! (Doch das ist ein gesondertes Thema, das mir sehr am Herzen liegt und für welches ich um Verständnis bei meinen deutschstämmigen Mitmenschen werbe.) Ich will auch nicht unerwähnt lassen, dass es manchem Neubewohner / mancher Neubewohnerin in Stadt und Land nicht klar zu sein scheint, wie notwendig die Beherrschung der deutschen Sprache für ihn und sie ist. Halbvolle Klassenzimmer sind da kein gutes Zeichen. Das BAMF, das Jobcenter, die Steuerzahler/innen, die letztlich die Geldgeber für die Kurse sind, haben dafür kaum Verständnis. Diese zwei letztgenannten Sätze müsste ich durch ein Netzwerk meiner Gedanken erweitern. Dazu erwähne ich hier nur einen Gedanken: Ungern wird über die gesundheitlichen Gründe gesprochen, weshalb Sprachkursteilnehmer/innen den Kurs unregelmäßig besuchen oder ihn frühzeitig abbrechen. Sie alle sind von ernsthaften Sorgen gedrückt. Viele Seelen sind krank und bei manchem schlägt das in körperliche Leiden um. Die meisten bräuchten psychotherapeutische Begleitung, um die Traumata der Flucht und des Erlebten in ihrem Heimatland, die Sorge um ihre Angehörigen, die persönlichen Verluste von Familienmitgliedern und Freunden in der Heimat zu verarbeiten. Der deutsche Alltag bringt neue, stressende Probleme. Wer von Euch, liebe Leser/innen, könnte in diesem Zustand ebenso mal eine fremde Sprache lernen und die vielen anderen Lebensregeln des neuen Landes? Zum Lernen muss der Kopf frei sein!
Dennoch: Die Sprachaneignung ist das A und O für die Integration. Da beißt die Maus keinen Faden ab! Dazu gehört aber auch die Sprachvermittlung, die in Mecklenburg-Vorpommern und wahrscheinlich in ganz Deutschland ein heißes Eisen ist. Es fehlen befähigte und vom BAMF zugelassene Deutschlehrer/innen! Viele Bildungseinrichtungen sind froh, dass sie Deutschlehrer/innen aus Polen oder Russland einsetzen können. Wie gut, dass es ausländische Menschen gibt, die uns helfen…. !
Viele meiner ehemaligen Schüler/innen sind immer noch auf dem Weg, sich auf eine Ausbildung oder eine Arbeitsaufnahme sprachlich vorzubereiten. Und es gibt auch die, die es geschafft haben: Sprachkursabschluss B2, mehrere oder langzeitliche Praktika in einer Firma oder mehreren Firmen, unbefristeter Arbeitsvertrag, erste Gehaltserhöhung, bestandene Führerscheinprüfung, PKW-Kauf auf Raten, nette Nachbarn, deutsche Bekannte und Freunde. Da sage ich nur: „Angekommen!“
Sehen wir die Integration nicht oft zu einseitig? Geht es nicht meistens darum, dass die neuen Mitmenschen sich integrieren müssen? Ich glaube, dass das ein entscheidender Trugschluss ist.
Wir Einheimischen sind hier zuhause seit wir denken können. Unsere Lebensweise ist für uns selbstverständlich und es passiert ganz leicht, dass wir sie verallgemeinern. In der Annahme, so wie wir leben, sei es richtig und das sei schließlich die „Norm“, an die sich die „Neuen“ zu halten haben, liegt eine Quelle von Missverständnissen, Unwissenheit, Vorurteilen und Angst. Nein, zum Integrationsprozess gehören auch wir Altbewohner des Landes. Wir haben die Aufgabe, den „Neuen“ zu helfen, sich zurechtzufinden in unserem Ort, in unserem Land. Wie wir das machen sollen? Ganz einfach: Im Supermarkt den schwarzhaarigen Menschen mit großen braunen Augen, der in der Schlange vor mir steht, anlächeln. Das „Hallo“ des Neuen auf der Straße freundlich erwidern. Der kopftuchtragenden Nachbarin „Guten Tag“ wünschen und fragen, wie es ihr geht. Der lebendigen Nachbarfamilie Hilfe anbieten bei der Bewältigung des Alltags. Sie vielleicht zum Kaffee einladen und viele Fragen stellen!!!! Wenn es mit der deutschen Sprache noch nicht so klappt, mit Händen und Füßen reden…. Und Fragen stellen, Fragen stellen, Fragen stellen. Natürlich auch: Viele Fragen beantworten. Vor allem ist es wichtig, unsere Unterschiede zu erkennen. Erst dann, wenn ich weiß, was uns in unserer Lebensweise unterscheidet, kann ich Einfluss darauf nehmen, dass sich die „Neuen“ an unsere Gepflogenheiten gewöhnen und sich einpassen (oder anpassen?). Durch viele Informationen über Lebensweise der „Neuen“ – Traditionen, Alltagsleben, soziale Normen, Kultur, Erfahrungen, Wünsche und ….und…. und… – wird unser Leben unsagbar bereichert. Das darf ich aus meiner ganz persönlichen Erfahrung sagen und möchte jeden und jede meiner einheimischen Mitmenschen ermutigen, einen Beitrag zur Aufnahme unserer „Neuen“ in unsere Gesellschaft zu leisten. Sie haben es leichter, sich einzugewöhnen und Freunde zu finden und wir werden in unserer Persönlichkeitsentwicklung bereichert. (Sie, die “Neuen” natürlich auch!) Weltoffenheit und interkulturelle Kompetenz sind zwei Schlagwörter, die jeder von uns auf seine eigene Weise mit Leben erfüllen kann.
Wie schön bunt meine Stadt Neubrandenburg in den letzten drei Jahren geworden ist! Damit meine ich nicht nur die Häuserfassaden. Damit meine ich vor allem die menschliche, bunte Vielfalt. 😉
PS: Liebe “neue” Mitbürger/innen, die Ihr diesen Artikel lest! Ich habe die umgangssprachlichen Wendungen, die Euch immer besonders schwer fallen, kursiv gekennzeichnet. Ihr findet die Erklärungen dazu unter der Kategorie “Deutsch lernen”/ Umgangsdeutsch.