Sonntagsgebimmel

Sonntagmorgen! Welche Gedanken löst dieses Wort bei Euch aus? Bei mir waren es früher diese:
Ausschlafen. Von der Sonne wachgeküsst werden – ohne Weckerläuten. Ausgiebig frühstücken in aller Ruhe und Gelassenheit mit Frühstücksei, viel Kaffee, Vogelgezwitscher durch das offene Fenster … . Ganz entspannt den ersten Tag der Woche begrüßen …
Seit einigen Jahren sieht der Sonntagmorgen für mich anders aus, denn ich wohne wieder in Neubrandenburg, mitten im Zentrum, nah der ehrwürdigen Marienkirche, die ja keine wirkliche Kirche mehr, sondern eine wunderbare Konzerthalle ohne sakrale Funktion ist. Dennoch: Hier in der Stadtmitte ist es vorbei mit der sonntäglichen Morgenidylle. Dafür gibt es das sonntägliche Morgengebimmel. Und das sehr lautstark.
Unter Einsatz von einer Menge Geld wurden erst 2007 fünf Glocken neu angeschafft, in H‘-E‘-Gis‘-A‘-H‘ gestimmt (laut Wikipedia) und sie sind voll funktionstüchtig. Doch sie haben so gar nichts „Konzerthaftes“. Jedem musikalischen Ohr müsste sich das Trommelfell vor Schmerz krümmen, wenn drei oder gar fünf Glocken unorganisch losbimmeln …!
Man mag sich fragen: Wozu sind diese Glocken in einer Konzertkirche gut? Welche Funktion haben sie? Läuten sie vielleicht die Veranstaltungen ein, die dort in der Konzertkirche stattfinden? Manchmal. Wenn es einen besonderen Anlass gibt.
Was also machen unsere Glocken, fünf an der Zahl?
Man hört sie täglich als Begleiter der Turmuhr dieses Gebäudes. Das ist ja noch recht praktisch, falls man nicht immer auf die Uhr sehen möchte. Die Glocken sagen dir viertelstündlich Bescheid, in welcher Zeit du dich befindest: Volle Stunde – meldet sich die E-gestimmte Glocke und schlägt viermal. Dann, der Uhrzeit entsprechend, rührt sich die dicke Schwester-Glocke in Gis. Die viertel Stunde nach der vollen Stunde wird von der E-Glocke mit einem Schlag bedacht, die halbe Stunde bekommt zwei Schläge und um viertel vor der vollen Stunde gibt es drei davon. (Nun mag sich vielleicht der eine oder andere erklären können, warum wir hier im Nordosten Deutschlands „viertel eins“ und „drei viertel eins“ sagen und nicht unbedingt „viertel nach zwölf“ und „viertel vor eins“.)
An die Glockenschläge zur Uhrzeit habe ich mich gewöhnt.
Auch das fünfminütige 8-Uhr-Geläut werktags ist vielleicht erträglich, wenn man nicht gerade im Ärztehaus im Vorbereitungszimmer des Hausarztes sitzt, ein müder Schichtarbeiter oder krank ist oder sich etwas entfernt vom Ort des Geschehens aufhält.
Allerdings, warum man am Sonntag um 9:00 Uhr fünf Minuten lang mit  Glockengeläut zum Wachwerden gezwungen wird, hat mit meiner Vorstellung von Ruhe am Sonntag nichts zu tun. Dann, nach 35 Minuten geht der Krach erst richtig los: Die Glocken einer Konzertkirche rufen christliche Gläubige in die benachbarte Johanneskirche zum Gottesdienst und das zehn Minuten lang. Natürlich wollen die Glocken von St. Johannes auch mitspielen, reihen sich in das Geläut ein und führen es bis 10:00 Uhr mit gedämpfterem Ton zu Ende.
Um 12:00 Uhr setzt erneuter Krach aus dem Glockenturm der Konzertkirche ein und bringt jedes Sonntagsmittagstischgespräch für fünf Minuten zum Schweigen.


Es soll Leute geben, die diesen Krach schön finden. Ich vermute, dass dazu in erster Linie die Spender für die Glocken gehören. Sie sind auf einer Stele vor der Kirche verewigt und wohnen ganz bestimmt im Speckgürtel der Stadt, sodass sie in ihrer Sonntagsruhe nur von ganz fern ein leises Geläut hören mögen. Vielleicht fügt sich das in den Vogelgesang relativ harmonisch ein?
Für alle die, die auch teilhaben möchten am Geläut unserer Neubrandenburger Sonntagsglocken, füge ich ein paar Audios zu Eurer Erbauung an. (Ich gebe sie gern zur Weiterverwendung frei.) 🙂

Das 9:00 Uhr-Geläut:

Der 2. Teil des 9:45-Geläut mit Übergang zu zarten Glocke von St. Johannes. Das ganze Werk musste ich um 6 Minuten kürzen. 😉 

Ich wünsche Euch viele entspannte, ruhige Sonntage mit Vogelzwitschern und Sonnenschein.

PS: Der Glockenverantwortliche hat heute die Zeitumstellung verpennt. Die Glocken läuteten tatsächlich nach alter Zeit. 🙂